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Gesichtsmuskulatur und Mimik – eine Einführung.

Veröffentlicht am 7/8/2021
Junger Mann mit Synkinesien lächelt charmant

Ein Lächeln, ein spöttisch nach unten gezogener Mundwinkel, ein Kussmund oder eine gerümpfte Nase – das menschliche Gesicht ist zu unterschiedlichsten Ausdrücken fähig. Jede dieser Gesichtsregungen beruht auf dem Zusammenspiel von Gesichtsmuskeln und Hirnnerven sowie ganzbestimmten Bereichen unseres Gehirns. Hier erklären wir, wie die sprichwörtliche gute Miene entsteht.

Nur selten gönnt sich ein Gesicht Phasen der völligen Entspannung. So verengen sich vielleicht gerade Deine Augenlider, weil der Bildschirm zu hell oder die Schrift zu klein eingestellt ist. Tatsächlich arbeiten ständig verschiedene Muskeln unter der Gesichtsoberfläche und formen das, was wir Gesichtsausdruck oder Mimik nennen. Viele dieser Muskeln bewegen Mund und Wangen und kommen auch beim Sprechen oder Essen zum Einsatz. Andere Muskeln formen unsere Mimik rings um unsere Augen oder werden aktiv, wenn wir die Stirn runzeln.

Vom Gedanken zur Mimik

Unsere Mimik zeigt häufig ungefiltert, was wir denken oder wie wir uns fühlen. Aus diesem Grund wird das Gesicht auch „Spiegelbild der Seele“ genannt. Doch wie genau gelangt dieses Bild auf die Oberfläche unseres Gesichts? Ausgangspunkt aller Regungen ist das Gehirn. Es besteht aus Milliarden von Nervenzellen, auch Neuronen genannt, von denen jede über unzählige Verknüpfungen mit ihren Nachbarzellen in Kontakt steht.

Nervenzellen leiten elektrische Signale weiter

Manche dieser Verknüpfungen überbrücken nur Bruchteile eines Millimeters, andere sind deutlich länger. Solche langen Nervenstränge heißen Axone, sie können etwa vom Kopf bis tief hinunter in die Wirbelsäule reichen. Ein Axon alleine denkt nicht und entscheidet nichts. Aber es kann Informationen in Form von schwachen elektrischen Impulsen weitergeben. Axone können nicht nur zu anderen Nervenzellen führen, sondern auch zu Muskelfasern, die sich zusammenziehen, wenn sie ein elektrisches Signal erreicht. Ob die Anspannung eines oder mehrerer Gesichtsmuskeln ein Lächeln oder eine Grimasse formt, hängt davon ab, ob die richtigen Muskeln zur richtigen Zeit die richtige Anzahl an Impulsen erhalten.

Den Impulsen auf der Spur – wo liegt die Kommandozentrale der Gesichtsmuskeln?

Auf der Suche nach dem Ursprung der elektrischen Steuersignale folgen wir den Nervenfasern von den Gesichtsmuskeln in Richtung Gehirn. Die verzweigten Axone aus dem Gesicht und den Kiefern finden in den beiden großen Kopfspeicheldrüsen, die vor den Ohren in der Wange liegen, zusammen. Hier vereinen sie sich zu dem immer dicker werdenden Gesichtsnerv, der gemeinsam mit den Nerven des Hör- und des Gleichgewichtssinns das Innere des Schädels erreicht. Hier führt uns der Gesichtsnerv direkt in den Hirnstamm. Dieses etwa daumendicke Nervenbündel oberhalb der Wirbelsäule mündet aufwärts direkt in das Großhirn. Innerhalb des Hirnstamms durchqueren der rechte und der linke Gesichtsnerv die Fazialiskerne (Nuklei Facialis).


Die Fazialiskerne: rechts, links, geradeaus!

Die beiden Fazialiskerne liegen im Hirnstamm nebeneinander und erfüllen hier eine wichtige Funktion. Sie mixen Steuerungsimpulse für die Gesichtsmuskeln aus beiden Hirnhälften auf eine ganz bestimmte Art und Weise.

Der untere Teil jedes Kerns leitet Impulse vom Hirn an alle Gesichtsmuskeln unterhalb der Augen weiter. Die Nervenzellen im oberen Abschnitt beider Kerne steuern die Stirnmuskulatur und die Augenlider an.

Doch es gibt noch eine weitere Unterteilung. Während der obere Abschnitt beider Fazialis-Kerne seine Steuerungssignale von der rechten UND der linken Gehirnhälften erhält, verlaufen durch den unteren Teil der beiden Kerne nur Nervenbahnen, die ihren Ursprung in der jeweils gegenüberliegenden Hirnhälfte haben.

Das führt dazu, dass die Muskeln der Augenlider und der Stirn von beiden Gehirnhälften gesteuert werden. Die gesamte Gesichtsmuskulatur unterhalb der Augen erhält ihre Muskelbefehle hingegen nur von der jeweils gegenüberliegenden Seite.

Im gesunden Zustand fällt das nicht weiter auf. Liegt aber einer Gesichtslähmung eine Nervenschädigung im Hirnbereich oberhalb der Fazialiskerne zugrunde, lassen sich die Stirn und die Augenlider weiterhin bewegen, weil die Steuerungssignale der gesunden Hirnseite immer noch ihre Ziele erreichen.


Die Motoneuronen des Gesichtsnervs entspringen dem motorischen Kortex

Neuronen, die in den Facialiskernen beginnen und abwärts zu den Gesichtsmuskeln führen, übernehmen hier als so genannte zweite Motoneuronen die Steuersignale aus erster Hand von den vorgeschalteten ersten Motoneuronen aus der Hirnrinde, gemeinsam verantworten Sie jede Gesichtsregung. Folgen wir den Nervenleitungen der ersten Motoneurone aufwärts ins Gehirn, erreichen wir zwei kleine bandförmige Bereichen rechts und links an der Außenseite unseres Gehirns. Diese beiden Gebiete in der Hirnrinde werden motorischer Kortex genannt, hier liegt der Ursprung der willkürlichen Bewegungen des Körpers.

Der motorische Kortex steuert 50 Gesichtsmuskeln

Jede Körperpartie bis hinunter zum kleinen Finger hat im motorischen Kortex einen eigenen Steuerungsbereich. Allerdings ist der Steuerungsbereich für das Gesicht viel größer als etwa der Bereich für das Bein oder den Rumpf. Das liegt daran, dass an feineren, präziseren Bewegungen deutlich mehr Nervenzellen pro Muskelfaser beteiligt sind. Laufen, Springen oder Treppensteigen erfordert offensichtlich weniger Kopfarbeit als ein Lächeln, und deutlich weniger Feinmotorik. So dirigiert eine einzelne Nervenzelle im Oberschenkel ganze 2.000 Muskelfasern, während Muskelfasern im Gesicht deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten. Hier steuert ein Neuron nur kleine Gruppen von 5 bis maximal 200 Muskelfasern, was zeigt, wie viel genauer wir unser Gesicht ansteuern können als z.B. unseren Oberschenkel. Nicht zuletzt zählt das Gesicht auch deutlich mehr Muskeln als ein Bein. An unserer Mimik sind insgesamt 50 Muskeln beteiligt, 17 von ihnen benötigen wir für ein einziges Lächeln.


In dieser Einführung zum Thema Gesichtsmuskulatur und Gesichtsnerven erklären wir, wie Bewegungen in unserem Gesicht entstehen. Wir beschreiben das Zusammenspiel von elektrischen Signalen, Nervenzellen und Muskeln und folgen den Steuersignalen für die Muskeln entlang der Nervenzellen bis zu deren Quelle in der Großhirnrinde. Auf dem Weg dorthin lernen wir grundlegende anatomische Merkmale und Strukturen kennen, die gemeinsam unsere Mimik formen.


Bild des Autors

Dr. Gerd Fabian Volk